Kunst oder Natur? Auf jeden Fall "Ins Bild gesetzt". Dahinter Lago Tremorgio mit Aussicht zur Adula.
Kunst oder Natur? Auf jeden Fall "Ins Bild gesetzt". Dahinter Lago Tremorgio mit Aussicht zur Adula.

Giro dei laghetti …

ein Einstieg in die „Via Idra“

Die Schattseite der Leventina wird erhellt von

beinahe unzähligen leuchtend-spiegelnden Bergseen, zudem ist es ein Wanderparadies für jeden Geschmack.

 Die „Via Alta Idra“ sorgt als Weitwanderweg für die logische Verbindung der „Via Alta Verzaschese“ gegen Nordwesten mit dem Quellgebiet des Ticino am Nufenenpass und ganz im Süden mit dessen Mündung im Lago Maggiore. Für eine tolle Einstimmung in dieses „Grossprojekt“ dient dieser Reisebericht für ein, zwei oder drei Tagesetappen direkt ab dem Bahnhof Airolo.

 

100 Kilometer in über 2000 Meter Höhe

Das sind die Eckzahlen dieses kühnen Pfads hoch über der Leventina und dem Sopraceneri. Ein Bogen auf der Grat- und Wasserscheide zwischen Ticino, Maggia und Verzasca. 10 Tage vom Nufenenpass zum Lago Maggiore, über liebliche Alpweiden und schroffe Felsgrate, vorbei an kristallklaren Bergseen und gut versorgt in wunderschön und liebevoll renovierten Berghütten.

 

Alpiner Blumengarten, definitiv nicht künstlich
Alpiner Blumengarten, definitiv nicht künstlich

„Primo Piatto“ – serviert ab dem Bahnhof Airolo

Wer sich noch nicht für die lange und anspruchsvolle Gebirgswanderung entscheiden mag, weder das Zeitfenster noch die Meteo dafür passt, für den gibt es zum Beispiel die hier beschriebenen Wanderungen, eben sozusagen als Vorspeise und damit Einstimmung zur „Via Alta Idra“.

Ohne Schwierigkeiten erreichbar mit dem öV beginnt unsere Wanderung am Bahnhof Airolo, auf dem ersten Kilometer höchstens verkehrstechnisch spektakulär entlang der Strasse, welche uns in weitem Bogen zur Talstation der Luftseilbahn Pesciüm führt. Hier bestünde bereits die erste Möglichkeit zur Abkürzung, wir aber entscheiden uns für den gemütlichen Aufstieg nach Nante. Der Weg steigt nun sanft an, teilweise auf der Talabfahrt des hiesigen Skigebiets, was uns in diesem Fall nicht stört, da Steigung und Untergrund sich durchaus bequem darstellen.

Einer der vielen Pizzi, gespiegelt in einem der ebenso häufigen Laghetti
Einer der vielen Pizzi, gespiegelt in einem der ebenso häufigen Laghetti

Tagestour oder „Dörfs es bitzli meh si…“?

In Nante kann man sich entscheiden für die Variante „tief“ oder „hoch“. Die tiefe führt in einer einfachen, aber durchaus attraktiven Tageswanderung (3-4h, T2) direkt zum Lago Tremorgio, von wo aus man in einem kleinen „Giretto“ mittels der Seilbahn nach Rodi und den öV wieder zurück nach Airolo, bzw. weiter durch den Gotthard nach Norden gelangt. Um aber Höhenluft zu schnuppern, muss man weiter hochsteigen, vorerst immer der Wegbezeichnung „Passo Sassello“ folgend, welche uns als nächstes zur Alp Ravina führt. Beim Erreichen des Kessels sehen wir rechts den Sessellift des Skigebiets Pesciüm, steigen entlang des Bächleins hoch und biegen nun bei den gut sichtbaren Markierungen gegen links ab. Nach ein paar hundert Metern findet sich in lieblicher Umgebung ein Brunnen und ein wunderschön schattiger Rastplatz oder man entscheidet sich, gleich weiter und nun steiler zum Lago di Ravina aufzusteigen.

 

Wald und Weid - direkt an der Waldgrenze der Blick auf die erste Unterkunft
Wald und Weid - direkt an der Waldgrenze der Blick auf die erste Unterkunft

Das Terrain wird jetzt deutlich rauer, alles deutet auf frühere Fels- und Bergstürze hin, bzw. die geknickten Bäume auf Lawinen. Der Weg führt gleichsam in eine dschungelartige Umgebung, durch Erlengebüsch und dichte, feuchte Vegetation. An dessen Ende erreichen wir gleichzeitig die Waldgrenze und einen Platz, von wo aus sich der weitere Verlauf der Wandermöglichkeiten erschliesst. Talauswärts auf einer Geländekuppe erkennt man die Fahne des Rifugio Garzonera, welches wir uns als Etappenziel vorgemerkt haben, rechts nach oben zieht der Bergweg direkt zum Passo Sassello (Übergang nach Fusio im Maggiatal), wir aber wandern weiter, wieder deutlich bequemer, im Auf und Ab zur Alpe di Prato (Cna di Lago), wo der Hirt an diesem Spätnachmittag gerade am melken ist. Über den direkt oberhalb der Alpgebäude ansteigenden Geländerücken erreichen wir den gleichnamigen Bergsee. Danach folgt das erste Mal etwas ausgesetzteres Gelände beim Durchqueren der Felsbänder am Motto del Toro. Danach steigt man ab zum aufgestauten Lago della Valletta, weiter zu den grossen Alpgebäuden, hinter denen der Weg schliesslich zum Rifugio Garzonera führt.

Grandiose Aussicht mit passendem Rahmen
Grandiose Aussicht mit passendem Rahmen

Secondo piatto – ein Hauptgang in blau-weiss

 Nach einem gemütlichen Abend und einer ruhigen Nacht im Rifugio Garzonera verlassen wir das weite Weidegebiet der Alpe di Prato und steigen nun zügig über die Höhenmarke von 2000m, welche wir vorderhand nicht mehr unterschreiten werden. Deshalb und wegen den zu erwartenden höheren Anforderungen in Block- und auf Schneefeldern sind wir nun auf blau-weiss markierten Pfaden unterwegs. Hier über der Waldgrenze kann der Blick nun weiter schweifen; markant dehnt sich im Osten die Adulakette mit dem Rheinwaldhorn und seinem Gletscher aus, auf der anderen Seite der Leventina erahnen wir die Mulde von Ritom und in unserem Rücken tauchen über dem Gotthardgebiet bereits die höheren Berge der Dammakette mit dem markanten Galenstock auf. Nach dem ersten Aufstieg weckt eine Art Flachmoor unsere Aufmerksamkeit; lieblich schmiegt sich hier ein kristallklares, grüngerahmtes Quellbächlein ins felsig-raue Umland.

Nun wird das Ambiente hochgebirgig. Der Weg führt über Felsplatten, zwischen Felsblöcken hindurch zu Moränen, denen die Gletscher abhanden gekommen sind. Überraschend trotzdem, dass Ende Juli noch grosse, zum Glück eher flache Schneefelder zu queren sind. Mittendrin aber auch regelrechte Alpengärtlein mit vielfältiger Bergflora. Im Hintergrund dominiert nun die Gratschneide, welche uns vom hintersten Maggiatal trennt, überragt vom Pizzo Massari. Ein kurzer, aber heftiger Auf- und Abstieg bringt uns zu einem weiteren Seelein, dem Lago di Cara, hinter dem das Valle dei cani wiederum steil hinauf zum höchsten Punkt dieser Wanderung, auf 2536m führt. Ambitionierte Berggänger hätten wohl den eindrücklichen Pizzo Massari mit seinen 2760m „mitgenommen“, der Aufstieg auf seiner Nordseite und der Abstieg über den Grat zu „unserem“ Pässlein scheint auch ohne Seil machbar zu sein.

Kurz darauf öffnet sich das Gelände wieder, der Blick geht weit. Bald gilt der spektakuläre Tiefblick dem fast runden Lago Tremorgio, rechts steht uns für kurze Zeit der Pizzo Meda im Weg, bevor wir endlich aufs Campo lungo – nomen est omen – und hinüber zur Capanna Leit mit seinem spiegelnden Seelein blicken.

 

Abstieg im Kristallzucker

 Schon hier fällt ein Gesteinsband auf, das leuchtend weiss vom Passo Vanit zum Passo Campolungo zieht. Legendär geworden beim Bau der NEAT ist dieser sogenannte zuckerförmige Dolomit, weil ein gehäuftes Auftreten beim Vortrieb des Tunnels mit extrem hohen Zusatzkosten verbunden gewesen wäre. Heute wissen wir, dass dem nicht so war und erfreuen uns, die Windungen dieses weissleuchtenden Bandes quer durch die Alpenfaltung zu verfolgen. Weiter unten steigen wir auf diesem spürbar weichen und scheinbar leicht verwitternden Gestein ein paar hundert Meter weit gegen die Ebene ab. Geradeaus würden wir nun via Alp Campolungo, kurz danach beim Abzweiger links haltend den Lago Tremorgio und das Seilbähnchen erreichen, geradeaus den erwähnten Passo Vanit und von dort den Abstieg nach Dalpe (Bus), womit eine zweitägige Variante seinen Abschluss finden würde.

Der Pizzo del Prévat, mehr als nur ein Kletterberg
Der Pizzo del Prévat, mehr als nur ein Kletterberg

Wiederaufstieg und Pause mit Kuchen vor eindrucksvoller Kulisse

 Wir haben uns aber schon frühzeitig anders entschieden und auf der Capanna Campo Tencia eine Übernachtung reserviert, welche wir nun via die Capanna Leit ansteuern. Da Berghütten da sind, um Schutz zu finden und sich zu versorgen, lassen wir diese Gelegenheit nicht aus und erhalten neben formidablem Kuchen sogar einen richtigen Espresso. Natürlich darf hier die Aussicht auf und ein Kommentar zum Pizzo del Prévat nicht vergessen werden: Wer schon mal vom Lago Tremorgio aufgestiegen ist, wird noch die Erinnerung haben, wie hinter dem dunklen See dieser kühne Gipfel aus dem Grün des Kessels regelrecht herausgewachsen ist und bald in voller Grösse über der Ebene von Campolungo stand. Wer zudem plante, ihn zu erklettern, wunderte sich, wie denn das „nur“ im fünften Grad möglich sei. Tatsächlich ist er dann weder besonders hoch noch besonders schwierig, bleibt aber bis zu guter Letzt eindrücklich.

Beim weiteren Aufstieg, zuerst entlang des Lago Campolungo – der an heissen Tagen für Abkühlung sorgen könnte, lohnt sich ein letzter Blick zurück, die Logik und Schönheit der Geografie und Optik vereinen sich … . Wir überqueren nun eine Art Doppelpass, um das weite Tal des Piumognaflusses am Fuss des Pizzo Forno und des Campo Tencia Massivs zu erreichen. Hier kann man direkt zur Campo Tencia Hütte absteigen oder einen weiteren See, den Lago Moghirolo, besuchen. Die letzte halbe Stunde hinab zur Capanna ist problemlos, der seiner Familie enteilende Junge meinte jedenfalls selbstbewusst: „Ci vediamo, lo faccio in dieci minuti!“

 

 

Quo vadis?

Hier bei der Hütte ist (schon wieder) fast alles möglich: Gleich doch noch absteigen nach Dalpe? Oder morgen die Besteigung des Campo Tencia? Gratklettern über die Cresta dei Corni? Hinüber ins Maggiatal? Einfädeln in die Via Alta Verzaschese? Oder gar die Via Alta della Maggia?

 

Wahrhaftig ist für jede Leistungsklasse etwas da, auch wenn sich niemand dem Ultra-long-distance-high-trail-runner anschliesst, der noch bis zum Lago Naret weitereilen will. Alle die bleiben, kriegen jetzt mal was gegen Durst, Hunger und Müdigkeit. Die Crew um Hüttenwart „DeMa“ versorgt uns zuvorkommend und freundlich, das Essen – auch für Vegetarier – lecker und nahrhaft.

Die sich im Lago Moghirolo spiegelnden Wolken bilden sich am Campo Tencia
Die sich im Lago Moghirolo spiegelnden Wolken bilden sich am Campo Tencia

 Giro di Campolungo

Wir, die nicht gerne weit absteigen, entschliessen uns, anderntags der Liste eine weitere Möglichkeit zu entnehmen und quasi hintenherum wieder den Lago Tremorgio und damit mittels der Seilbahn Rodi in der Leventina zu erreichen. Das kurze Stück hinauf zum Moghirolosee kennen wir schon, danach zeigen uns die blau-weissen Markierungen den Weg rechts entlang des Ufers. Am Talschluss geht’s zügig hoch zu den Pizzi di Moghirolo, wo man in einer blockigen Scharte hinüber ins Valle Maggia wechselt. Der Abstieg auf die Alpe Zaria ist eher anstrengend im fast weglosen Gelände, der Wiederaufstieg zuerst auch und dann sehr. Zugegeben, unmittelbar daneben führt der Passo Campolungo deutlich bequemer hinüber, aber wir wollten nach fast 25 Jahren nochmals in der Scharte beim Prévat stehen, wo wir damals, nach unserem ersten richtigen Klettergipfel, schon mal gestanden waren.

 

 

Beim Übergang ins Maggiatal ist der Basodino nicht zu übersehen
Beim Übergang ins Maggiatal ist der Basodino nicht zu übersehen

Der Rest ist schnell erzählt. Abstieg durch das steile Geröllfeld, eventuell Zwischenhalt wiederum bei der Capanna Leit oder Weitermarsch zum Lago Tremorgio. Dort, und die Erinnerung hat mich nicht getäuscht, lohnt sich der Besuch der Capanna Tremorgio, wo richtig tolle, bodenständige Tessinerkost serviert wird. Die Rückfahrt mit Funivia, Bus und Zug ist mit vollem Bauch und Erinnerungen an drei wunderschöne Tage und ein halbes Leben reiner Genuss.